21.6.2024, 13:59 

Erst neulich hat sich in mir ein neuer Draht zur Sprache gebildet, der sich immer enger um meine Synapsen schließt und ruhig macht. Der war vorher nicht da. Ich lese "Adam" von Ulla Berkéwicz, das hat eine poetische und sinnfreie Sprache. Mein Schreiben findet Sinn im Absurden. Ich suche nach Verbindung. Verbindung mit dem Wort? Neue Formen der Expression? Gute Beschreibungen zähmen mich. Durch sie fühle ich mich verstanden. Also erkläre ich mir selbst etwas? 


Ich finde bislang nicht, dass ich gut mit der Sprache bin. Früher wurde mir das öfter mal so gesagt. Vielleicht war ich für mein Alter damals gut. Heute denke ich, dass das Schreiben einfach ein schöneres Ding für mich ist, als das Sprechen. Ich finde meinen Kern im Geschriebenen. Wenn ich spreche, spricht ein anderer, eine enge Haut, die um mich liegt. Ich höre dieser falschen Stimme ungern zu und weiß auch, dass das auf andere abfärbt. Wenn ich schreibe, spreche ich richtig. Aber es zwickt noch hier und da, das Geschriebene. So wie das eben ist, wenn man etwas übt. Ich möchte hier meine Texte ablegen und so wenig wie geht darüber denken. Mit der Sprache sein und mit ihr Eins werden. Mir eine Sinnhaftigkeit bauen, die über meine Tagebuchseiten hinausgeht.
22.Juni.2024, 16:27
In der momentanen Phase meines Lebens, muss ich täglich entscheiden, ob mich die Ruhe gerade küsst oder zerbeisst. Ich habe sehr viel Zeit. Der Versuch etwas daneben zu stellen, ob ein Ziel oder falsche Verliebtheit, wie wenn ich eine Vase auf die leere Oberfläche meiner Kommode stelle, zum Angucken jeden Tag, zum Ignorieren des Holzstückes selbst (bald wächst aus ihrem Wasser eine Pflanze!), ist ein schöner. Demnächst muss ich den Schlüssel in die Hand nehmen und sie aufschließen.
25.Juni.2024, 13:51

Ich wachse am Moß meines Sessels fest. 
2.Juli.2024, 14:50

Ich hab mich der Kunst wieder zugewendet. Tut gut. Komme sonst auch nicht zurecht. Antrumyo ist ein Ventil, ohne das ich zu voll bin. Bin sonst nur eine Masse, in der ich nicht fündig werde, nicht sehe wo der Sinn sein soll. Aber nutze ich es, liegt er auf dem Tisch, wie etwas blutiges, das ich geboren habe. 
Ich plane: zwei filmische Projekte. Die sind klein und schön. Eins davon ist dokumentarisch, das wird entstehen, wenn ich bereit bin. Dann ist das leicht. Das andere ist szenisch, fast Fiktion, nicht ganz. Das soll aber niemand spielen, jemand muss es sein. Das klingt prätentiös. Ich plane weiter: ein Fotoprojekt, dieses plane ich schon lange. Immer stell ich mir die Bilder vor, in einem Raum, ganz groß, die gibt es noch gar nicht. Von Menschen, die mir groß vorkommen, die davon gar nichts wissen. Ich fange mal an zu fragen. Und ein Zine: das will entstehen, ein kleines Buch über das Loslassen, das Fliegen. 
Mein Kosmos besteht aus dem Moßsessel und dem Walnusstisch. Woanders sitze ich nicht, bin ich nicht bei mir, kann ich nichts schaffen. Es ist eine kleine Welt, ich bin darin riesig, muss meine Beine falten, mein Denken trichtern. Probiere die Wände auszudehnen. Nicht zu viel übers Schreiben und Stil nachzudenken. Klappt schlecht.

Ich muss verschiedene Teile meines Zimmers fotografieren, um damit klarzukommen, dass ich den einen liebe und den anderen zutiefst hasse. Schon seitdem ich ein Kind bin, habe ich Probleme mit meinen Zimmern. Bislang hatte ich fünf. Und noch nie konnte ich eins völlig lieben. Mein jetziges vielleicht noch am meisten, da es das größte Potenzial hat. Es fühlt sich einfach nie an, als würde da ein echter Mensch drin leben. Sondern eher ein Toter. Ich weiss nicht, wie ich das meine. Manchmal wird es erst lebendig, wenn jemand bei mir schläft und viel atmet. Dann atme ich mit und es gewinnt an Fülle, wie wenn man einen Ballon aufpustet.
3.Juli.2024, 18:03 
Späte Nacht, da liegen sie drauf. Einer lehnt sich hinein. Der fasst ans Ohr, der andre die Brust. Ein Greifen und Wenden, die suchen die Wahrheit. Ein Blick trifft den Fleck, der ist wund, der schaut tiefer hinein. Er guckt weg. Der Rest ist weich. Und einer kramt nach Worten, um zu fassen, was ist und war und der andre legt die Zunge auf die seine.
Da wird es.

Ein Spalt, das Tschüss, das Weiss: Dann ist das Glück ganz taub. Es erstickt am Boden vor der Tür. Er hätt' ihm fast gesagt, es lebt. 








8.Juli.2024

Steele, Ruhr. Ich gehe allein schwimmen. Die Strömung ist stark, einmal muss ich mich über einen Baum im Wasser aus dem Sog retten, damit ich nicht wegtreibe. Ich bin nur Einer im ganzen Fluss und das Wasser eigentlich zu kalt, mein Herz springt richtig. Dann sitze ich und schaue meine Haut im Lindgrün an und die Wasserperlen darauf. Da finde ich mich schön, auf eine Art, auf die man sich nur allein schön finden kann. Ich gewöhne mich an die ganzen Insekten, fasse sie alle an, greife sie mir brummend aus den Haaren. Ich gewöhne mich auch an die wilden Hunde, habe Respekt aber keine Angst; als Kind hab ich immer gezittert, vorgestern hab ich noch gezittert. Als ich geh, schau ich mir die Schafe an und weine fast. Zuhause sitze ich wieder am Fenster, nicht mehr im Sessel. Ich pflege meine tausend Ableger, kau mir den rechten Daumen kaputt. Wieso klingt Zweisamkeit automatisch schön und Einsamkeit schmerzhaft? 

Ich benenne den Juli für heute in Julo um. Das passt besser.
Wäre auch ein guter Name für ein Tier.





10.Julo.2024, 17:08


Immer noch Julo. Gestern: Leon und ich filmen unser jährliches Interview in meinem Zimmer. Das vierte Mal ist das glaube ich, ein Jahr haben wir doppelt. Um Punkt 12 Uhr nachts zur Kamera reden. Alles wie sonst, nur wir sind anders und schöner. Mit Leon habe ich immer so ein Gefühl in der Körpermitte, wie ein Strom. Mit keinem scheint mir die Kunst so wichtig. Die Nachricht an das Ich in einem Jahr so zuversichtlich wie noch nie.

Tagsüber zusammen an der Ruhr gewesen. Wir fassen den Elektrozaun der Schafe an. Leon zuerst, ich zögere eine Minute. Dann bringt er mich dazu den Finger kurz aufzulegen. Nicht viel Volt drauf. Gewitteraufbau. Ein Mann erklärt uns die Wolken. 
14. Julo. 2014, 00:40 

Meine Daumen streichen über die innere Ringfingerhaut unterhalb meiner Knöchel. Da bildet sich Hornhaut. Weil ich ja jetzt ständig Klimmzüge versuche. Ich werde generell immer schlechter im Nichts tun. Und besser im Etwas tun.

04:11 

Ich lese das blaue Buch aus. Das Ende ist die letzte schöne Stelle, davon hat es sehr viele. Ich würde diese Schönheit gern wem zeigen, wenn ich könnte, doch kann nicht, tue mich zu schwer mit dem Teilen. Ich schenke ihm das Buch nicht, die Karte nicht, meine Gedanken nicht und bin allein mit dem Glück. Damit es verstanden bleibt, denke ich.

"Sogar die Dichter hören auf zu erzählen, wenn zwei sich gefunden haben, denn dann wirds lagweilig, dagegen hat noch keiner eine Hoffnung gedichtet."  -Zitat aus "Adam", Ulla Berkéwicz





16.Juli.2024

Jetzt beginnt der ernste Teil des Sommers: Wespen, Chlorgeruch, vertrocknetes Gras. Ist man im Juni einer Fantasie nachgelaufen, merkt man das genau jetzt. Ich bleib stehen und nehm endlich den Schlüssel in die Hand. 


23. Juli.2024, 14:11

An das Konzept von Wahrheit und Täuschung zu glauben ist in sich eine Täuschung.  Wenn ich darüber schreibe, dass der Juni eine Täuschung war, dann meine ich damit eigentlich nur, dass nicht mehr ist, was einmal war. Und dass ich vom Jetzt etwas anderes erwartet habe. Das Jetzt ist immer wahr. Oft halte ich das Glück für etwas Unwahres, bloß weil es schwindet. 

In der Ehrlichkeit lebt eine schöne Brutalität. Und ich spreche hier nicht von ungefragten Meinungen, die man anderen gegenüber äußert. Ich meine die Offenheit und Akzeptanz mit dem, was in einem selbst ist. Nackt zu sein vor sich selbst und anderen. Klingt leichter als es ist. Wir sehen die Verschleierung als Optimierung.
1.September.2024, 23:10
Erst will man einfach nur, dass jemand einen mag. Ein bisschen, nur ein Stück von einem. Sagen wir, dass einer den Geruch von einem mag. Und man mag den anderen auch. Auf den Geruch folgt dann der Körper. Und man schläft zusammen und dann läuft man auch zusammen. Und mag, wie man läuft und wie man schläft. Ab da wird man gierig. Macht alles: reden, duschen, essen. Und alles soll gemocht werden!
Und irgendwann steht man zusammen an einem Bahnsteig als Paar und ist keins, aber die anderen Leute denken das so, wenn sie einen sehen. Wir stehen da, als würden wir liegen, als stünde da in der Luft ein vertikal aufgestelltes Bett. Ein Bett für die Liebenden. Alle am Bahnsteig denken das so. Und da haben sie uns überstimmt in ihrer Masse. Da haben sie kurz Recht gehabt, für diesen Moment, in dem sie lauter sind, und es ist mir sogar egal.